- gotische Malerei Italiens
- gotische Malerei ItaliensDas zentrale Problem bei der Erforschung der gotischen Malerei Italiens besteht darin, dass aus der Zeit um 1300 nur ein einziger Zyklus von Wandgemälden seinen ursprünglichen Zustand bewahrt hat: die Fresken in der Oberkirche zu San Francesco in Assisi. Aufgrund ihrer vorzüglichen künstlerischen Qualität können sie aber sicher nicht am Anfang einer Entwicklung gestanden haben. Die vorangegangenen Mosaiken und Wandmalereien der Basiliken Roms, für welche die Quellen die besten Künstler der Epoche nennen, sind allesamt vernichtet: Die Ausstattung des alten Petersdoms fiel ab 1506 dem Neubau zum Opfer, die Basilika San Giovanni in Laterano wurde später skrupellos barockisiert, und die letzte der großen Basiliken, die die Zeiten unversehrt überstanden hatte, San Paolo fuori le Mura, brannte 1823 völlig aus. Nachdem die Päpste 1309 ihre Residenz von Rom nach Avignon verlagert hatten, standen im 14. Jahrhundert allein Siena und Florenz in künstlerischem Wettstreit, vertreten durch Maler wie Giotto und Taddeo Gaddi auf Florentiner und Simone Martini, Pietro und Ambrogio Lorenzetti auf Sieneser Seite.Bereits dem Wegbereiter der florentinischen Malerei, dem 1272 erstmals nachweisbaren Cimabue, lag an der tiefenräumlichen Wirkung seiner Werke, klar ersichtlich am Tafelbild der »Maestà«. Des Weiteren bemühte auch er sich schon - mit Zugeständnissen an die Sehgewohnheiten des Publikums - um eine den Betrachter mitreißende Dramatisierung von Szenen: Sein um 1280 entstandenes Fresko im linken Querhaus der Oberkirche zu San Francesco in Assisi zeigt bei den klagenden Engeln und den unter dem Kreuz trauernden Figuren eine Darstellung von unbändigem Schmerz, die weit über das traditionell Geforderte hinausgeht. Eine Darstellung von Gefühlsregungen, die nicht durch eine ikonographische Tradition angeregt sind (wie etwa das Trauern von Maria, Johannes des Evangelisten und den Engeln bei der Kreuzigung Christi), lässt sich erstmals in der Oberkirche zu Assisi in zwei Szenen der Isaakgeschichte fassen. Beide Fresken, gegen 1290 entstanden, stammen höchstwahrscheinlich vom jungen Giotto. Von nun an galt der Wiedergabe von Emotionen die gleiche Aufmerksamkeit wie der tiefenräumlichen Erschließung eines Bildes.Im Bild dargestellte Architektur diente spätestens seit der Legende des heiligen Franziskus an der Nordwand der Oberkirche von San Francesco in Assisi nicht mehr der bloßen Ortsangabe, sondern wurde aufgewertet. Den Höhepunkt bildet die mehrheitlich Giotto zugeschriebene Darstellung der »Weihnachtsszene von Greccio« (um 1295), die zugleich das älteste erhaltene Zeugnis für das neue Interesse ist, Innenräume eines Gebäudes in allen Einzelheiten festzuhalten. Ein Meilenstein in der Erschließung des Bildraums ist die Verwendung der Diagonalen als Hauptprinzip der Komposition. Bei Giottos Fresken in Assisi (gegen 1295) und in der Arenakapelle zu Padua (1303/05) sind alle Szenen noch in der vorderen Bildebene, also in nächster Nähe zum Betrachter, platziert. Eine grundlegende Neuerung erfolgte erst durch Taddeo Gaddi in den Fresken der Cappella Baroncelli zu Santa Croce in Florenz (um 1328/30): Die dargestellten Gebäude, in denen die Hauptszenen spielen, werden in der Bildmitte über Eck gestellt, sodass sie das Fresko diagonal durchschneiden. Die so entstehenden Zwickel rechts und links ergeben Platz für Nebenszenen. Taddeo entwickelte hierbei einen Gedanken weiter, den Giotto in seinem Spätwerk in der Cappella Bardi derselben Kirche bereits vorgebildet hatte: In der Szene der Lossagung des heiligen Franziskus von irdischen Gütern ist der Palast im Hintergrund nicht mehr bildparallel orientiert, sondern über Eck in den Raum gestellt.Dass die Sienesen die Perspektive wenig interessiert habe, ist ein weit verbreitetes Vorurteil, das von den Florentiner Künstlerbiographen - allen voran von Giorgio Vasari - bewusst gestreut wurde, um deren Ansehen zu schmälern und den eigenen Ruhm zu mehren. Die Sienesen arbeiteten mit zwei Kompositionsschemata: Werden Figuren im Zentrum eines Altares großformatig dargestellt, nimmt man den fortschrittlichen Stil zurück und ist einer eher altertümlich wirkenden Manier verhaftet, um der Figur ein eindrückliches, möglichst monumentales Aussehen zu verleihen. In den kleinformatigen Szenen in den Predellen oder auf den Rückseiten der Altarbilder zeigen die Maler dagegen ihr virtuoses perspektivisches Können. Die schönsten Beispiele hierfür bieten Duccios »Maestà« (1308-11) und Simone Martinis Altar des heiligen Ludwig von Toulouse (1317).Erstaunlicher als das Interesse an der menschlichen Figur, das mit Giotto erwachte, mutet die Aufmerksamkeit an, mit der Tiere dargestellt wurden: Durch das Naturempfinden der Franziskaner ausgelöst - Franziskus spricht mit den Tieren, predigt den Vögeln und bekehrt nach langem Disput einen Wolf, den er seinen Bruder nennt -, wurde dem Tier eine Erkenntnisfähigkeit zugebilligt, die seine Einbeziehung in die Heilsbotschaft ermöglichte. Neben der Freude am Anekdotischen, die wiederum zuerst bei Giotto spürbar wird, sollte der Betrachter auch durch ein weiteres Phänomen fasziniert werden: die bildimmanente Lichtquelle, die erstmals in Pietro Lorenzettis Fresko des Letzten Abendmahls in der Unterkirche von San Francesco zu Assisi (um 1320) erscheint. Zum Hauptmotiv erhob sie jedoch Taddeo Gaddi in den Fresken der Cappella Baroncelli zu Santa Croce in Florenz: Im Fresko der Verkündigung an die Hirten geht alles Licht der Szene vom Engel aus, und die Hirten heben schützend die Hände vor die Augen, da sie geblendet werden. Diese Szene wirkte so beeindruckend auf nachfolgende Generationen von Malern, dass selbst noch Gentile da Fabriano sie 1423 in seinem Dreikönigsaltar wiederholte. Noch ausgeklügelter findet sich der Gedanke bei Ambrogio Lorenzetti in seinem 1338/39 geschaffenen Fresko der Guten Regierung in der Sala della Pace im Palazzo Pubblico zu Siena: Von der Allegorie der Guten Regierung, die an der Ostwand dargestellt ist, geht ein Licht aus, das die gut regierte Stadt auf der Südwand trifft. Darum fallen alle Schatten der Gebäude und Personen in der gesegneten Stadt nach Westen, obwohl in der Westwand jene Fenster sitzen, die den Raum erhellen. Diesem Interesse am Phänomen des Lichtes ist auch die erste Darstellung eines natürlichen Nachthimmels mit seinen Kometen und Sternbildern zu verdanken; Pietro Lorenzetti schuf ihn im Fresko der Gefangennahme Christi in der Unterkirche zu San Francesco in Assisi.Bereits die Jahre um 1300 scheinen von einem lebhaften Dialog zwischen Künstler und Auftraggeber beziehungsweise Betrachter bestimmt gewesen zu sein, denn zunehmend finden sich jetzt Objektarrangements mit stilllebenartigem Charakter. Zunächst wurde nur die Rückwand von Wandschränkchen oder Nischen, die in die Mauer eingelassen waren, mit Regalbrettchen und Geschirr freskiert - wie beim ältesten Beispiel, der Sakramentsnische in Santa Maria Maggiore in Tuscania aus dem 12. Jahrhundert. Im ersten Viertel des 14. Jahrhunderts drangen dann solche »Kabinettstückchen« bis in die Sockelzonen der Kirchen und Kapellen vor und täuschten dort Sakramentsnischen, Wandschränkchen, liturgische Geräte und sogar Holzbänke vor. Obwohl sie in sakralen Räumen auf Nebenszenen beschränkt blieben, damit das heilsgeschichtliche Anliegen der Bilder nicht allzu sehr durch virtuose Spielereien überdeckt werde, ist nicht zu leugnen, dass jetzt zum traditionellen, heilsgeschichtlichen Verständnis eines Bildes jene gleichwertige kunstästhetische Komponente hinzugekommen war, die an das Interesse des verständigen Betrachters appelliert.Nahezu alle wegweisenden Meisterwerke wurden für Franziskanerkirchen geschaffen. Dies kommt nicht von ungefähr, denn die Franziskaner gehörten zu den führenden Universitätslehrern in den Naturwissenschaften, besonders der Optik. Die Dominikaner dagegen bevorzugten konservativere Maler, da ihnen das Bild in erster Linie der Glaubensvermittlung diente. Eine entsprechende Strömung, die den Anspruch des Bildes als Bravourstück zurückwies, hatte sich bereits in den 1320-er Jahren formiert und setzte sich mit der Pest von 1348/49 durch - nicht nur weil ein Großteil der innovativen Maler an dieser Seuche starb, sondern auch weil man sich von den altertümlich anmutenden Bildern mehr Schutz und Schirm versprach. Den Schwerpunkt legte sie auf eine möglichst monumentale Darstellung der Figur: Die Heiligenfiguren füllen fast den ganzen Bildraum; Architektur und Landschaft dienen lediglich als kurze, formelhafte Ortsangabe für den Betrachter. Hauptvertreter dieses Konservativismus war Andrea Orcagna, der gemeinsam mit seinen Brüdern, den Malern Nardo und Iacopo di Cione, die neuen, bis ins frühe 15. Jahrhundert geltenden Maßstäbe bestimmte.Die Kunst Giottos und Taddeo Gaddis blieb dennoch unvergessen, einzelne ihrer Motive wurden in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts dutzendfach auszugsweise oder sogar komplett wiederholt. Der »Neo-Giottismus« fügte diesen Szenen aber weder allzu viel selbst Erdachtes hinzu noch entwickelte er gar die Kompositionsgedanken Giottos und Taddeos weiter. Allein die Kostüme der Figuren wurden an die zeitgenössische Mode angepasst. Wirklich Innovatives verdankte die Malerei nach 1348 vor allem Antonio Veneziano und Giovanni da Milano. Aus Venetien und der Lombardei stammend, vermittelten beide die eleganten Formen der französischen Spätgotik, welche die Malerei Oberitaliens zu dieser Zeit maßgeblich beeinflusste. Ihre Bilder schwelgen in der Freude über die Darstellung von Mode, kostbaren Stoffen und verfeinerter Lebensart, die nichts Hässliches neben sich duldet: Selbst Marterwerkzeuge wie das Rad der heiligen Katharina von Alexandria, die während der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts groß und Schrecken erregend dargestellt worden waren, um unübersehbar auf das Martyrium hinzuweisen, wurden nun vielfach spielzeughaft klein, ja fast wie ein modisches Accessoire interpretiert. Maltechnisch waren all diese Werke brillant, ein Betrachter aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts hätte jedoch das Fehlen jenes intelektuellen Anliegens bemerkt, das über den eigentlichen Bildinhalt hinausgeht.Dr. Johannes Tripps
Universal-Lexikon. 2012.